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Erinnerungen (Martin Gädke)

" Stein des Anstoßes"

Protokoll über ein Gespräch zwischen Martin GÄDKE aus Berlinchen (bei Wittstock/Dosse, Land Brandenburg) und Hans-Volkhart Ulmer aus Mainz. Geführt am 18.05.1996 in Berlinchen.

1.Vorwort:
Herr M. GÄDKE, den ich seit 1953 aufgrund vieler Besuche in Berlinchen persönlich gut kenn, hatte sich im Mai 1945 und in den vielen Jahren danach intensiv um die Anlage und Pflege eines Soldatengrabs am Rande des Berlinchener Friedhofs, auf dem auch mein am 2.5.1945 gefallener Vater Johann (genannt Hans) Ulmer ruht, verdient gemacht. Dies war Anlass, mit ihm in Ergänzung zu seinen brieflichen Berichten über das Kriegsende in Berlinchen kurz vor seinem 70. Geburtstag ein Gespräch zu führen und mit seinem Einverständnis zu protokollieren.

2. Gesprächsprotokoll:
Am 1. Mai flohen die meisten Einwohner Berlinchens in die nördlich davon liegenden Wälder – unter ihnen auch die als Verwundete heimgekehrten Soldaten M. GÄDKE und P. BOOKMAN – da deutsche Soldaten in Berlinchen eintrafen und größere Kampfhandlungen zu befürchten waren. Am Morgen des 2. Mai kam es dann zu einem Angriff sowjetischer Panzer, bei dem Panzer, bei dem 15 deutsche Soldaten in Ortsnähe fielen, der Rest setzte sich nach westen ab, ohne Verwundete zurückzulassen. In der Nacht zum 3. Mai kehrten die Ortsbewohner zurück. M. GÄDKE und der beinamputierte P. BOOKMANN begannen alsbald, innerhalb einer Woche die gefallenen Kameraden zu bergen, indem sie Tuch von Lastenfallschirmen einsetzten, das in einem Lager der örtlichen Gaststätte reichlich vorhanden war.
Als sie am östlichen Rand des Dorffriedhofs außerhalb der Friedhofsgrenze eine Gruppengrabstelle anlegten, kam ein sowjetischer Schützenpanzer vorbei. Ein Offizier stieg aus und fragte nach dem Vorgang. Alsbald war ihm der Sachverhalt klar, er ging zum Fahrzeug, kam dann zurück und forderte die beiden auf, ihre Spaten beiseite zu legen. Daraufhin machte er eine Ehrenbezeugung, sagte „diese Soldat“ und schoß mit seiner Maschinenpistole ein Ehrensalut über das Grab hinweg.
M. GÄDKE und P. BOOKMANN hatten sich Notizen über Namen und Adressen der weitgehend ausgeraubten Gefallenen gemacht und das Notizbuch einem ehemaligen Wehrmachtsoffizier namens NUYKEN übergeben. Dieser wurde kurz darauf verhaftet, das Notizbuch verschwand spurlos, so daß bis heute die Namen dieser 15 Gefallenen unbekannt geblieben sind. Mitte Mai wurde Herrn GÄDKE mitgeteilt, daß seitlich eines Feldwegs Richtung Süden vermutlich noch Gefallene lägen. Er fand dann zwei Tote, die noch eindeutig identifiziert werden konnten: den Ehering meines Vaters stellte er sicher. Die Gefallenen SOBOTTA und ULMER wurden an Ort und Stelle bestattet.
Anfang Juli 1945 wurde M. GÄDKE verhaftet, er war wegen seiner Mitgliedschaft in der HJ denunziert worden. Nach 4 Wochen – verbunden mit zahlreichen nächtlichen Verhören unter Folterbedingungen – wurde er am 3.8.1945 mit der von ihm akzeptierten Verpflichtung entlassen, am demokratischen Aufbau mitzuwirken. Daraufhin gründete er die FDJ Berlinchen und trat der CDU bei. Vermutlich im Herbst 1946 wurde er als Vertreter der Jugend in den Gemeinderat gewählt. Sein Mitspracherecht setzte er dafür ein, auf eine Umbettung der beiden Soldaten zu drängen und für eine angemessene Anlage des ca. 1948 durch zwei Särge erweiterten, nun ca. 25 m langen Gruppengrabs zu sorgen.
Es gelang ihm, den Gemeinderat dazu zu bewegen, für die Pflege der Anlage zu sorgen. Mit seiner FDJ übernahm er die Patenschaft für die Anlage: er baute einen Scherengitterzaun mittels längsgeschnittener Birkenstämme und ein Birkenkreuz ohne Namen. Als Anfang der 50er Jahre ein großer Stein in der Gemarkung gefunden wurde, kam ihm der Gedanke, diesen auf die Anlage zu setzen. Der Steinmetz POHLMANN in Wittstock riet jedoch von dem schwer zu bearbeitenden Stein ab und schlug die Hälfte eines bei ihm vorhandenen und bereits halbierten Findlings aus dem Fleming vor. POHLMANN war begeistert von dem geplanten Verwendungszweck und zu mancherlei Entgegenkommen bereit. Eine Beschriftung wurde vereinbart und in Auftrag gegeben, vorbehaltlich einer Genehmigung der zuständigen Dienststellen. Hierzu schaltete M. GÄDKE nun die örtliche CDU und den Bezirksvorsitzenden der CDU für den Bezirk Potsdam (Friedrich Kind) ein. Als der Generalsekretär der CDU (Ost) G. GÖTTING vor sowjetischen Offizieren auf dem nahegelegenen Flugplatz einen Vortrag über Besuche bei Albert SCHWEITZER in Lambarene hielt, kam es zu einem Treffen, bei dem GÄDKE sein Anliegen an der für ihn höchsterreichbaren Stelle vortrug.

Eine vorzeitige Aufstellung des Grabsteins kam wegen der Risiken nicht infrage. Die Genehmigung zog sich über fast 2 Jahre hin, schließlich wurde sie mit der Auflage erteilt, keine Dienstgrade auszuweisen. Die schon eingemeißelten Dienstgrade (Maat SOBOTTA und Leutnant ULMER) wurden entfernt – was bis heute sichtbar ist. Mitte der 50er Jahre wurde der Stein aufgestellt. Die Kosten dürften ca. 1800 DM betragen haben, finanziert u.a. durch Veranstaltungen der örtlichen CDU und durch meine Mutter: der Steinmetz POHLMANN habe auch nicht auf sofortige Zahlung gedrängt. Für viele Kenner der mit der Aufstellung verbundenen Schwierigkeiten hieß der Gedenkstein dann: Stein des Anstoßes“.

Die Inschrift lautet seitdem:

Die Toten mahnen
hier ruhen
Johann Ulmer --- Franz Sobotta
und 15 unbekannte deutsche Soldaten
gefallen am 2.5.1945

WIR WOLLEN NUR DEM FRIEDEN DIENEN

Als der Stein aufgestellt war, kam es zur Entrüstung darüber, speziell gegenüber Herrn GÄDKE. Vertreter der STASI aus Potsdam suchten ihn auf, um seine Gesinnung zu erkunden. Vorwürfe, er habe eine Grabanlage für Verbrecher sogar noch mit einem großen Grabstein versehen, hielt er das Vorgehen des sowjetischen Offiziers entgegen. STASI – Vertreter und Landrat drohten mit persönlichen Sanktionen und brachten Herrn GÄDKE – der ja schon eine Inhaftierung hinter sich hatte – in unangenehme Situationen. Allerdings wurde er nicht bedrängt, den Gedenkstein oder die ganze Anlage abzureißen. Schließlich ließen die Gegenaktionen nach, die Grabstätte wurde dann ohne jegliche Unterstützung staatlicher Stellen weiter gepflegt. Hieran hatten sich von Anfang an auch neben der Familie GÄDKE Frau Erna MAHNKE und Frau Gerda HOPPE (bis etwa 1970) beteiligt, beides Flüchtlingsfrauen, die das Grab ihres im fernen Russland gefallenen Bruders nicht versorgen konnten. So wurde die Grabanlage von mehreren Bürgern der Gemeinde in dem Bemühen gepflegt, sie in einem würdigen Zustand zu erhalten.
Die andere Hälfte des Findlings sei bezeichnenderweise für ein „russisches Soldatengrab“ in Groß Haßlow verwendet worden. Dort hätten – im Gegensatz zum Berlinchener Grab – am 8. 5 und 7. 10 eines jeden Jahres offizielle Gedenkfeiern stattgefunden.


Niedergeschrieben am 20.05.1996 von H.-V. Ulmer


Dieses Dokument wurde von Gerd Boockmann zur Verfügung gestellt.