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Erinnerungen (Werner Kimmerling) 1947

Kiel, den 25.1.1947

.........Ich hielt Ihren Gatten bisher für vermisst, wahrscheinlich gefallen, im Gefecht bei Berlinchen am 2.5.1945, oder verwundet in russ. Gefangenschaft geraten, nachdem von denjenigen Bataillonsangehörigen, die in engl. Oder amerik. Gefangenschaft geraten waren und später hier in Kiel vorbeikamen, keine weitere Nachricht über sein Schicksal zu erhalten war. Sie selbst haben nun diesem Zweifel ein Ende gesetzt. Ich habe Ihren Gatten wenige Minuten vor diesem Gefecht noch gesehen und gesprochen, und er ist in allen diesen Tagen mit mir zusammen gewesen. Gern komme ich Ihrer Bitte nach, Ihnen Einzelheiten dieser Tage zu schildern.
Ich möchte vorausschicken, daß man an die Ereignisse dieser Tage nicht den Maßstab gewohnter militärischer Verhältnisse eines Einsatzes in organisatorischen Bahnen legen darf. Um die besondere Atmosphäre dieser unglücklichen Tage und den Ablauf der sich überstürzenden Ereignisse verstehen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, daß die Mar. Batl. hineingeworfen wurden in die in voller Auflösung befindliche Front in Mecklenburg. Völlig unzureichend bewaffnet und ausgerüstet, ohne entsprechende Ausbildung und Erfahrung im Landkampf – um durch ihre Selbstaufopferung eine allmähliche Zurücknahme der Front zu erreichen und es 100 000 von Flüchtlingen zu ermöglichen, sich noch in den Bereich der Westmächte zu retten.
Wir alle wussten, daß militärisch gesehen, es keine Chance für uns gab, daß der Krieg verloren war, und das unser Opfer wahrscheinlich letzten Endes von zweifelhaften militärischem un politischen Wert war. Demgegenüber galt für uns, besonders für die Offiziere die Pflicht, dem gegebenen militärischen Befehl Gehorsam zu leisten. Den Männern ein Beispiel zu geben und uns gegen alle äußeren Eindrücke und inneren Anfechtungen zu wappnen.
Das Batl., dem Leutnant Ulmer als Zugführer in der 3. Komp. Angehörte und dessen Kommandant ich war, kam zum Teil schon zersprengt infolge sehr großer Schwierigkeiten auf den verstopften und unter Fliegerbeschuss liegenden Straßen, am 29.4 in Fürstenberg/Mecklenburg an. Die zur Verteidigung angesetzten Verbände mussten am 30.4., etwa 20 km nach Westen ausweichen, nachdem der Russe im Süden und Norden schon durchgebrochen war. In der neuen Stellung, bei St. Lag das Batl. Dann am 30.4. in Stellung, am Nachmittag unter Artilleriebeschuss.

Nun waren bereits beträchtliche Teile abgesprengt z. T. auch in Gefangenschaft geraten. Am Abend brachen russische Panzer wieder im Süden und Norden durch und es blieb uns nur ein Rückzug nach Westen durch Wald und über Gewässer nach Diemitz. Am Morgen des 1.5. bezogen wir eine Verteidigungslinie am See und südlich Mirow. Gegen Abend kam der Absatzbefehl nach Berlinchen. Infolge Verluste fast sämtlicher LKWs, aus Mangel an Schlaf und den dauernden Absatzbewegungen waren wir fast am Ende unserer Kraft. Die 3. Komp. Mit Kaptl. Hundemüller, der auch Ihr Gatte angehörte, traf in den frühen Morgenstunden des 2.5. in Berlinchen ein. Teile der Truppe mußte ich noch an verschiedene entfernte Punkte abgeben, wo der Angriff der Russen vermutet wurde. Gegen 10.00 Uhr traf aber die Meldung ein: Russ. Panzer im Angriff von südosten auf Berlinchen! Gleichzeitig der Befehl, alle verfügbaren Männer zur hinhaltenden Verteidigung einzusetzen. Schweren Herzens gab ich den Befehl (es waren noch 40 Marinesoldaten) an Offizieren aber nur: K.Kpt. Ing. Hundemüller, Oberlt. Ing. Lorenzen, Oberlt. Ing. Gasirowski, Lt. Ing. Ulmer, außerdem noch ebensoviel Leute anderer Formationen, die sich in Schützenlöchern auf einen Fels entlang der Straßen in Südost zur Verteidigung einzurichten. Lt. Ulmer ging zusammen mit Oberlt. Gas. Und einer Gruppe einige 100 Meter an der nach Süden führenden Straße zu. Nachdem es fast den Anschein hatte, daß die russ. Panzer (etwa 1 Dtzd. Mit nachfolgender Infanterie auf LKWs) in etwa 600 Meter Abstand vor uns von rechts nach links fahren würden, richteten sie plötzlich starkes Art. Feuer und MG Feuer auf unsere verstreut liegenden Soldaten. Die Panzer schwenkten ein und die Einschläge lagen mitten zwischen uns und brachten viele Ausfälle. Ich hatte in Deckung noch 2 LKWs stehen, die ich jetzt heranziehen wollte um Verwundete mitzunehmen. Die Soldaten in meiner Nähe waren bereits getürmt. Ich selbst erhielt noch einen MG Durchschuss im Oberarm. Die LKWs hatten aber das Weite gesucht ( auch ein Zeichen für die Auflösung). Bei der Truppe waren im einzelnen so starke Verluste eingetreten, daß Oberlt. Lorenzen, der mir entgegen kam, für den Rest Rückzug befohlen hatte. Verfolgt von den russ. Panzer zogen wir uns zunächst in einen Wald westlich Berlinchens (Wittstocker Seite) zurück. Es sammelten sich etwa 15-20 Marinesoldaten, an Offizieren außer mir nur Oberlt. Lorenzen und Oberlt. Gas.
Auf einem leichten Panzer später auf einen der wieder aufgefundenen LKWs setzten wir uns weiter ab, lasen Schwerverwundete auf, die wir am Abend endlich im Lazarett abgeben konnten. Oberlt. Gas. Verlor den Anschluß. Er ist angeblich am 3.5. bei Parchim noch mal im Einsatz gewesen und es ist anzunehmen, daß er dabei gefallen ist oder in russ. Gefangenschaft geraten ist. Von Ihrem Gatten wussten die wenigen Soldaten, die zuletzt mit mir zusammen gewesen sind, nichts. In der Nacht vom 3. zum 4.Mai geriet ich, als wir aus einem Sumpfgebiet westlich Parchim herauskamen mit dem Rest des Batl. Auf einem LKW in amer. Gefangenschaft. In derselben Nacht entwich ich mit 2 Oberlt. (dabei Oberlt. Lorenzen) aus dem Lager südlich Schwerin und wir schlugen uns in 5 Nächten nach Hamburg durch. Seit Mitte Mai bin ich in Kiel. Meine Ansicht, mit Hilfe von zurückkehrenden Soldaten näheres über die vermissten Kameraden festzustellen schlug im großen und ganzen fehl, da keine Nachrichten aus dem von den Russen besetzten Gebiet zu erhalten waren.
In großen Zügen sind dies die Ereignisse des Einsatzes. Ihren Gatten kenne ich aus den wenigen Wochen in Kiel: ich war erst Ende März 1945 zum Kommando gekommen und aus den Tagen des Einsatzes als einen Offizier beseelt von Idealen zuverlässig und unerbittlich gegen sich selbst. Wenige Augenblicke vor dem Angriff der Russen, beim Vorgehen an der Straße entgegnete er einem Oberlt. Der Flack der da stand und aus einer Flasche Schnaps trank und auch ihm anbot, der Oberlt. Hatte offenbar vorher die Bemerkung fallen lassen, daß die Marine feige sei: „Danke Herr Oberlt. die Feiglinge von der Marine trinken mit Ihnen keinen Schnaps“. Mit diesen Worten ging er nach vorn in die Stellung, wo er dann gefallen ist – lies den Oberlt. stehen, der einen kläglichen Eindruck machte.

(Werner Kimmerling)